Sag mir was du isst und ich sage dir, wer du bist. Das trifft auch in Kanada zu. Viele kulturelle Aspekte spiegeln sich in der Esskultur wieder. Die zahlreichen Einwanderungsströme haben hier ihre Spuren hinterlassen. Ebenso, wie die durchaus vorhandene Fastfood Kultur des Landes zu den pulsierenden Metropolen des Landes passt. So kann man sehr viel über Kanada und sein Selbstverständnis lernen, wenn man sich durch das breite Essensangebot isst. Eine win-win-Situation!
Alles alles mit Ahornsirup
Ein Klischee, das wirklich zutrifft: tatsächlich lieben die Kanadier ihr Ahornsirup heiß und innig. In Kanada bereiten sie es auch auf Arten zu, die bei uns kaum bekannt sind. Neben Ahornsirup (maple sirup/sirop d’érable) in Salatdressings, in baked beans oder so ziemlich jeder Süßspeisen-, Joghurt- und Porridgemarke, die auch die Geschmackssorte Ahornsirup anbietet, gibt es auch zwei bei uns eher unbekannte Varianten. Das ist zum einen Ahornbutter (maple butter/beurre d’érable). Diese hat ebensoviel mit Butter zu tun wie Erdnussbutter, es handelt sich eher um eine festere, streichfähige Version des Ahornsirups. In der Orginalversion sind keine weiteren Zusaten zugesetzt. Man kann es herrlich auf Brot essen, so dass es regelrecht im Mund zergeht.
Die zweite Besonderheit ist eine Wintertradition und kommt gleich mit einer ganzen Institution daher, der shugar shack oder cabane de sucre. Auf Märkten (Karneval oder Weihnachtsmarkt) oder in der Natur werden Bars aus Schnee aufgebaut, dann wird heises Ahornsirup als dünne Linie auf diesem Schnee ausgegossen. Dieses muss dann mit einem Holzstil aufgewickelt werden. Das Ergebnis ist eine Art klebrig-süßer Lutscher mit intensivem Ahorngeschmack. Das sollte man auf jeden Fall ausprobiert haben!
Desserts mit Kidney-Bohnen
Kanada ist ein klassisches Einwanderungsland. Während viele der historisch-traditionellen Spezialitäten von Kanadas Anfängen als Perlzjäger- und Waldarbeiterland geprägt ist und das essen dementsprechend eher einfach und fleisch- und kartoffellastig ist, haben die Einwanderungswellen ein paar großartige Speisen nach Kanada gebracht. Jede größere Stadt hat auch eine asiatische Minderheit, zumeist auch ihre eigene Chinatown.
In chinesischen Bäckereien findet man für sehr wenig Geld germknödelähnliches Gebäck, das allerdings nicht mit Früchten gefüllt wird, sondern mit einer süßen Masse aus Kidney-Bohnen. Das mag seltsam klingen, ist aber definitiv lecker. Wer so seine Liebe für Süßspeisen aus Kidney-Bohnen entdeckt hat, kann sich dann auch weiter durch zum entsprechenden Eis essen, dass ich ebenfalls sehr empfehlenswert finde. Zudem gibt es noch viele weitere Dessert Kreationen mit Kidney-Bohnen, die alle unwahrscheinlich lecker sind.
Poutine 
Keine Aufzählung dieser Art kann ohne Poutine auskommen, der kanadischen Spezialität überhaupt. Die Kombination aus Pommes, Bratensoße und einem speziellen Käse, der am ehesten an eine feste Mozzarellaversion erinnert, wurde angeblich in Montreal erfunden. Der erste „Esser“ soll sie als „Poutine“, also Sauerei bezeichnet. Es ist eine klassische Fastfood Köstlichkeit. Perfekt im Winter, vor allem nach körperlicher Anstrengung, wenn man durchgefroren und ausgehungert von einer Schneeschuhwanderung zurück kommt.
Inzwischen gibt es zahlreiche Variationen, etwa die italienische Variante (mit Bolognese), Shugar Shack Poutine (mit Bacon und – wen überrascht es noch – Ahornsirup) oder als Pizza Poutine, wo die Pommes durch Bratkartoffeln ersetzt wurden. Besonders empfehlenswert finde ich die Version mit Zwiebeln, Paprika und Pilzen. Das gibt zusätzlichen Geschmack und federt die doch sehr salzige Soße etwas ab. Wenn man beim ersten Mal schwer enttäuscht sein sollte von dieser viel gelobten Nationalspeise, sollte man in eines der Restaurants gehen, dass sich auf Poutine spezialisiert hat, um den Reiz verstehen zu können. Und nicht nach dem ersten Mal aufgeben, denn Poutine wird mit jedem Essen besser und ist vor allem dann geradezu lebensrettend, wenn man spätabends und angetrunken von epischem Hunger gebeutelt wird.
Gâteau de mille crêpes
In Québec ist die Küche logischerweise auch sehr von der französischen Kultur beeinflusst, diese wurde aber oft selbst weiterentwickelt. Wer Crêpes mag und cremelastige Kuchenkreationen, sollte definitiv den „Tausen-Crêpe Kuchen“ probieren. Abwechselnd werden hier die dünnen Pfannkuchen und Cremes mit variierenden Geschmacksrichtungen geschichtet, vom klassischen Vanillearoma über Tiramisu bis hin zur etwas ausgefalleneren Matcha-Kreation. Aber Achtung, die Süßspeise hat definitiv Suchtpotenzial!
Tim Bits
Tim Horton ist die kanadischste aller Fastfoodketten. Sie bietet neben klassischem Filterkaffee, Muffins und einem wechselnden Sandwich- und Suppensortiment auch seine eigenen Kreation an, die so genannten Tim Bits. Das sind kleine, frittierte Bällchen, mit Marmelade, Apfel, Schokolade und so weiter. Praktischerweise kann man sie gleich im Dutzend kaufen und sich so durch die Auswahl probieren. Wer dann zurück in Europa wahnsinnige Sehnsucht nach Tim Bits hat muss nicht ganz bis zurück nach Kanada schweifen. Tim Horton gibt es auch in einigen europäischen Metropolen wie Madrid oder London. Bedauerlichweise haben ausgerechnet sie kein Poutine im Sortiment.
Beaver-Tail/Queues de Castor
Diese großartige Süßspeise ist auf vielen Festivals, Kulturveranstaltungen, Paraden oder beim Karneval zu finden und gerade im Winter perfekt – weil süß, heiß und fettig. Die aus frittiertem Teig hergestellte Leckerei wird von Hand lang gezogen, so dass sie anhand der Form an den Schwanz eines Bibers, dem kanadischen Nationaltier, erinnert. Auch wenn es jede Menge Kombinationsmöglichkeiten gibt isst man die Köstlichkeit am bestem mit Zimt, Zucker und Zitrone. Das hat dann zwar zumindest optisch ein wenig Ähnlichkeit mit einem Wiener Schnitzel, ist aber unschlagbar lecker. Die kanadische Botschafft hat sogar Beaver Tails zur Inauguration von Obama serviert. Nachdem der Präsident bei einem Besuch in Ottawa extra einen zusätzlichen Stop einlegte, um einen Beaver Tail zu kaufen freute sich nicht nur die kanadische Presse, der Besitzer nannte eine seiner Spezialitäten auch sofort in Obama Tail um.
Caesar-Cocktail
Diese Spezialität aus dem Hause der gemüsehaltigen Cocktails wurd 1969 in Alberta erfunden. Heute ist er einer der beliebtesten Cocktails des Landes und man sagt ihm magische Fähigkeiten nach, was die Heilung von Katern angeht. Eine Studie der University of Toronto hat sogar 1985 festgestellt, dass der Cocktail Patientenmägen von Schädigungen durch Aspirin schützt[1].
Der Cocktail besteht typischerweise aus Wodka, der Caesar-Mischung, der er seinen Namen zu verdanken hat (eine Mischung aus Tomatensaft und Muschelbrühe), scharfer Soße und Worcestersauce. Caesar wir mit Eis in einem großen, mit Selleriesalz umrandeten Glas serviert. Oft gibt es als Garnitur einen Sellerie-Stiel dazu. Die Verwendung von Muschelbrühe macht den Cocktail einzigartig und unterschiedlich von Bloody Mary.
Kraft Dinner (KD)
Definitiv kein kulinarischer Hochgenuss, aber auch definitiv unheimlich typisch für Kanada. Der Konsum liegt 55% über dem der USA, die ja für ihre Liebe für schnelles und ungesundes Essen bekannt sind. Es handelt sich um ein Fertigprodukt der Geschmacksrichtung Macaroni Käse (Mac and Cheese).
Kraft Dinner wird häufiger als De-facto-Nationalgericht Kanadas bezeichnet. Besonders unter Studierenden hat das Gericht schlicht und einfach Kultstatus und ermöglicht ein schnelles und günstiges warmes Essen. Trotzdem kann man den Hype auch kritisch sehen. Er hat dafür gesorgt, dass Kanada ein von einem ausländischen Unternehmen hergestelltes Lebensmittelprodukt als nationales Gericht zu Gunsten lokaler Käsesorten bevorzugt. But what does it mean if a national dish is manufactured, formulated by scientists in a laboratory in Glenview, Illinois, and sold back to us by the second-largest food company in the world?[2]
Es ist nicht möglich, in Kanada gelebt zu haben, ohne eine sehr starke Meinung zu haben, was KD angeht. Man liebt es oder man hasst es oder man würde es nur essen, wenn partout nichts anderes im Haus ist.
Frisch gebackene Bagels
Auch wenn böse Quellen etwas anderes behaupten mögen: New York ist nicht die Hauptstadt der Bagel-Bäckereien, es ist Montreal! Eine Tradition, die jüdische Einwanderer nach Nordamerika gebracht haben und dort perfektioniert wurde, zum einen, weil heute ein großes Sortiment salziger und süßer Varianten zur Auswahl steht, zum anderen, weil die Bäckereien die Bagels noch von Hand zu bereiten, meistens rund um die Uhr geöffnet haben und die riesigen Öfen im Verkaufsraum auch einfach schon zum anschauen schön sind.
In Montreal sind sowohl St.Viateur Bagel wie auch Fairmount Bagel wärmstens zu empfehlen. Ersterer hat gleich mehrere Zweigstellen und man hat sehr oft die Gelegenheit, Bagel zu erwischen, die gerade aus dem Ofen kommen. Zweiterer ist ebenso traditionsreich und von hoher Qualität und besticht vor allem durch sein großes Sortiment an süßen Bageln. Praktischerweise sind beide Läden auch nur etwa zehn Minuten voneinander entfernt und bieten sehr faire Preise, so dass man sich gleich ein halbes Dutzend bei beiden besorgen und selbst die Unterschiede vergleichen kann.
Reese’s Peanutbutter Cups
Diese Süßigkeit ist kein kanadisches Alleinstellungsmerkmal sondern in den USA genauso beliebt. Peanutbutter ist mit unterschiedlichen Schokoladenarten umhüllt und wird in unterschiedlichen Größen verkauft. Eine einfache ebenso wie geniale Dinge, zwei grundleckere Zutaten zu kombinieren. Die Verkäufe sind enorm, wenn man bedenkt, dass sie fast ausschließlich in Nordamerika stattfinden, nur 2,8 % außerhalb der Verkäufe erfolgen außerhalb der USA bei einem Umsatz von 2,7 Milliarden Dollar (2012). Das muss man auf jeden Fall probiert haben – um die Faszination nachvollziehen zu können, oder begründet den Kopf schütteln zu können. Wer in Kanada süchtig werden sollte nach diesen kleinen Leckerein muss sich keine Sorgen machen, eine langwierige und schwere Entzugsphase nach der Rückkehr nach Deutschland ist gar nicht nötig. Inzwischen bekommt man Reese’s Peanutbutter Cups auch problemlos im Internet und bequem nach Hause geliefert.
[1] „Take two drinks…“ Windsor Star. 1985-10-23. Retrieved 2011-03-26.
[2] Chapman, Sasha (September 2012). „Manufacturing Taste“. The Walrus. Retrieved September 1, 2012.