Warum ein Auslandssemester in Kanada nichts mit Erasmus zu tun hat? Auf institutioneller Ebene sind die Unterschiede offensichtlich: das klassische Erasmus und ein Auslandssemester in Kanada haben sehr wenig miteinander gemeinsam. Kanada ist kein Partner im Erasmus + Programm, was zusätzliche bürokratische Hürden aufbaut und die Finanzierung schwieriger macht. Zudem ist die Mobilität innerhalb der EU einfach wesentlich höher, während die kanadischen Einreisebestimmungen recht streng sind. Plätze sind begrenzt und beliebt, die Bewerbung ist aufwändig. Allein die Anrechnung der Leistungspunkte wieder erheblich dadurch erschwert, dass selbst innerhalb Kanadas kein einheitliches System vorhanden ist.
Darüber hinaus gibt es aber noch viele weitere Unterschiede, die weniger offensichtlich sind. Und besonders für jeneinteressant sind, deren Einblicke in das Thema Studieren im Ausland vor allem vom Erasmus Kosmos geprägt sind. Aufgrund der Vielzahl von Erasmus Studierenden hat sich längst ein ausgebautes System entwickelt, das deren Bedürfnisse aufgreift und sie an der Gastuniversität eingliedert. Gleichzeitig entwickelt sich unter den Erasmus Studierenden auch oft eine abgeschlossene Sozialstruktur. So besteht oft wenig Kontakt zu Land und Leuten. Die Phase eignet sich eher zum Ausbruch aus gewohnten Strukturen und Verhaltensmustern als zum Eintauchen in eine andere Kultur.
Weniger spezielle Angebote, mehr Kontakte zu Kanadiern
Kanada ist ein explizites Einwanderungsland, sodass es je nach Universität und Provinz mehr ausländische Studierende gibt, die ein ganzes Programm absolvieren, als solche, die ein Austauschsemester absolvieren. Sie haben in der Regel ganz andere Ansprüche an ihre akademischen Leistungen, bringen fundierte Sprachkenntnisse mit und sind weniger darauf bedacht, viel vom Land zu sehen. Schließlich haben sie hierfür wesentlich mehr Zeit und sind nicht nach einem halben Jahr wieder in der Heimat. Als Austauschstudent muss man Kurse meist weniger ernst nehmen. Trotz der unterschiedlichen Bedürfnisse werden diese beiden Gruppen oft zusammen behandelt. Es gibt kaum Angebote, die speziell auf eine der beiden zugeschnitten sind.
Dozenten begegnet weniger häufig Studierende mit sprachlichen Schwierigkeiten und sind sich der Problematik weniger bewusst. Sie zeigen damit auch weniger Sensibilität. Dafür gibt es auch die vielbeschworene Erasmus Blase nicht, in der deutsche Studenten dann in Barcelona vor sich hin dümpeln und andere Deutsche kennenlernen. Gemeinsam die Nächte durchfeiern und über alle Stränge schlagen können, aber am Ende weder spanische Freunde noch einen tiefgehenden Einblick in das Land selbst hatten.
Auch Kanada bietet diesen Aspekt, in einem völlig neuen sozialen Umfeld die Möglichkeit haben, neue Rollen einzunehmen. Sich auszuprobieren. Sich mit Menschen zu umgeben, die einen eben nicht schon kannten, als man noch schüchterner Erstsemester war. Oder gar pickeliger Teenager. Alle sind neu und fremd und hoch motiviert, Neues zu erleben. Gleichzeitig es mal nicht von den kanadischen Studierenden getrennt. Es gibt an kanadischen Universitäten für internationale Studierende weniger organisierte Partys und Ausflüge. Damit ist mehr Eigeninitiative gefragt.
Schwung in der Karriere durch Kanada Aufenthalt
Viele Programme sind darauf ausgerichtet, gut ausgebildete Studierende in Kanada zu behalten. Schon bei der Ankunft am Flughafen bekommt man Flyer in die Hand gedrückt, die für langfristiges Bleiben und die Staatsbürgerschaft werben. Auch Arbeitgeber wissen inzwischen, dass Erasmus weniger mit Karriere als Urlaub am Meer zu tun hat und dass oft keine fundierte Sprachkenntnisse für ein Erasmus Semester notwendig sind. Insofern ist Kanada als Destination eine ganz andere Hausnummer. Quebec und Montreal, die überwiegend französischsprachig sind bieten hier natürlich noch eine einmalige Zusatzqualifikation.
In Kanada ist es wesentlich einfacher, Forschungsprojekte und Praktika zu absolvieren, als dies im europäischen Vergleich der Fall ist, weil diese bereits wesentlicher Bestandteil des kanadischen Systems sind. Damit gibt es wesentlich mehr Plätze. Pflichtpraktika und Forschungsmodule sind in der Regel bezahlt (etwa 1000 CAD pro Monat). Zudem sind transatlantische Beziehungen und Kooperation, die sich daraus entwickeln könnten, äußerst wertvoll für beide Seiten. Gerade Kanada, das viel zu leicht nur als Anhängsel der USA betrachtet wird, hat ein hohes Interesse an guter Zusammenarbeit mit Europa.
Während der europäische Binnenmarkt schon relativ durchlässig ist, kann es Vorteile bieten, von Kontakten zu weniger erschlossenen Märkten zu profitieren. Zudem bietet Kanada – ganz besonders Quebec – durch seine beiden Amtssprachen, die autochthonen Wurzeln und den starken Einwanderungscharakter die Möglichkeit, gleich mehrere Länder, Kulturen und Religionen kennen zu lernen. Und das, ohne überhaupt nurdie Stadt verlassen zu müssen. Wer Erasmus macht, für den ist alles mehr oder weniger vorgegeben und einfach. Studierende können gemütlich mit einer großen gruppe mit schwimmen. Ohne großes Investment findet man schnell seine gemütliche Nische und Freundesgruppe. Ohne ein solches Programm ist viel mehr Vorbereitung notwendig.
Fazit
Ich persönlich kann ein Studium in Kanada nur wärmstens empfehlen. Es gibt selten Gelegenheiten im Leben, so sehr in kurzer Zeit zu wachsen, neue Kompetenzen zu erwerben und seinen eigenen Horizont zu erweitern. Damit möchte ich Erasmus nicht diskreditieren. Dieses Programm hat Europa weiter zusammen wachsen lassen und Generationen von jungen Menschen äußerst bereichert. Allerdings ist es eher ein Erlebnis, das von der Gruppe anderer internationaler Studierender bestimmt wird als vom Gastland selbst. In Kanada kommen die zahlreichen Karrierechancen hinzu. Außerdem hat man danach ein viel vielschichtigeres Verständnis für Nordamerika und dessen Heterogenität. Studieren in Kanada stellt die größere Herausforderung da, ist aber auch definitiv das authentischere Erlebnis.